Arbeitsunfähig, aber den ganzen Tag auf Twitter und Facebook?

Arbeitsunfähig, aber den ganzen Tag auf Twitter und Facebook?

09.07.2017 von kibalibre
1854 mal gelesen 7 Follower

Da platzt mir sowas von die Hutschnur! „wütend“-Emoticon

Ich erlebe immer öfter, daß Leute langfristig arbeitsunfähig oder berufsunfähig sind, also aus angeblich gesundheitlichen Gründen nicht zur Arbeit gehen, diese aber gefühlte 500 Tweets bei Twitter absetzen oder ständig allen möglichen Mist bei Facebook liken und kommentieren. Oft wird sogar noch stolz mit der Arbeitsunfähigkeit angegeben und gezeigt, wie sehr man sein "faules" Leben doch genießt.

Ich finde das Verhalten im höchsten Maße asozial und unfair allen anderen Menschen gegenüber, die Tag für Tag hart arbeiten gehen und dieses faule Pack auch noch finanzieren.

Wie seht Ihr das? Kann man rechtlich was machen, z.B. sie anzeigen und einen Nachweis erbringen, daß es ihnen doch ganz gut geht?

Antworten: 3

Beste Antwort
nicky
nicky 09.07.2017

Hallo kibalibre,

Ich finde Deinen Text ehrlich gesagt sehr traurig. Und ich verstehe auch nicht so richtig Deine Wut.

Das mag allerdings daran liegen, dass ich mehrere Menschen in meinem Bekannten- und Verwandtenkreis habe, die aus verschiedenen Gründen tatsächlich arbeitsunfähig sind und trotzdem bei facebook und Twitter (und Instagram) - oder vielleicht sind sie es auch gerade deshalb. Für diese Menschen sind die sozialen Netzwerke das Tor zum Leben, die oft einzige Möglichkeit teilzuhaben und sich auszutauschen.

Ich versuche hier mal Dir einige dieser Geschichten aufzuschreiben, in der Hoffnung, dass Du vielleicht mal darüber nachdenkst.

Einmal ist da eine Bekannte:

Mutter einer kleinen Tochter, Ende Zwanzig. Sie hat Abitur und ein sehr gutes Studium und eigentlich einen guten Job. Aber sie ist auch seit der Schwangerschaft krank. Ihre Nieren arbeiten nicht mehr richtig. Anfangs konnte das mit Medikamenten unterstützt werden, inzwischen reicht das leider nicht mehr.

Jeden zweiten Tag muss sie zur Dialyse, hängt dann mehrere Stunden an Maschinen, die ihr Blut reinigen und sie so am Leben erhalten. Die Behandlung ist körperlich sehr belastend, danach ist sie einige Stunden müde und schwach. Das Warten auf ein geeignetes Spenderorgan belastet psychisch zusätzlich. Wie lange der Körper die Dialyse mitmacht, weiß sie nicht. Ob sie ihre Tochter aufwachsen sieht auch nicht.

Die Wohnung zu putzen oder der tägliche Ausflug zum Spielplatz sind für sie so anstrengend wie für andere ein Marathonlauf. Urlaub ist undenkbar - sie bräuchte ja immer ein Urlaubsziel mit Dialyseplatz.

Viele Aktivitäten aus ihrem Bekanntenkreis bekommt sie nur mit, weil sie Bilder auf Facebook oder Instagram sieht. Viel Austausch findet auf diesem Weg statt. Für einen Abend im Biergarten fehlt ihr oft die Kraft.

Sollte sie sich aber deshalb völlig abschotten? Nicht mehr an dem teilhaben, was um sie herum passiert? 

Das zweite Beispiel ist aktuell mein Onkel:

Er hat Krebs - Leukämie. Seit einigen Wochen bekommt er nun Chemotherapie, muss in der Klink bleiben, darf nur mit wenigen Menschen Kontakt haben. Sein Immunsystem ist am Ende und jede Infektion könnte tödlich enden - auch ein sonst harmloser Schnupfen. Dass er so arbeitsunfähig ist, und das auch erstmal bleiben wird, sollte außer Frage stehen.

Er ist den ganzen Tag in den sozialen Medien unterwegs. Sein Laptop ist sein Tor nach draußen. Er liked, kommentiert und twittert was ihm grade einfällt - tauscht sich so mit anderen Menschen aus und schöpft daraus Kraft, weil er sich nicht einsam fühlt oder ausgeschlossen.

Ein drittes Beispiel fällt mir spontan auch noch ein. Ein guter Freund:

Vor vielen Jahren hatte er einen schweren Autounfall. (Ein Betrunkener kam ihm als Geisterfahrer entgegen...) Er hatte lebensgefährliche Verletzungen, lag einige Wochen im Koma. Ganz besonders hat die Wirbelsäule gelitten. Wenn er auch nicht gelähmt ist, so hat er trotzdem motorische Probleme. Insbesondere die linke Hand kann er nicht mehr gezielt bewegen, beispielsweise nichts festhalten.

Er war vorher Berufskraftfahrer. Ist jetzt logischerweise berufsunfähig und leider auch berentet. Eine Umschulung wollte ihm auf Grund der Unfallfolgen leider niemand ermöglichen. Es ließ sich kein Betrieb finden, der ihn eingestellt hätte auf die Gefahr hin, dass er aus gesundheitlichen Gründen immer wieder ausfällt.

Er ist trotzdem dankbar noch zu leben. Und er genießt sein Leben jetzt mehr denn je. Wie schnell es vorbei sein kann, hat er deutlich zu spüren bekommen. Und ja, er teilt seine Freude darüber mit Freunden, Bekannten und jedem, den es interessiert. Auf Facebook und Twitter. Er ist witzig, manchmal sarkastisch und gelegentlich kanns schon mal sein, dass er sich auch über sein "faules" Leben freut. Immerhin ist das besser als gar nicht mehr zu leben. Trotzdem würde er gerne wieder arbeiten, wenn er es denn könnte.

Was ich damit meine

Alle diese Menschen könnten mit ihren Likes, Kommentaren, Tweets etc. den Eindruck hinterlassen, dass sie sich einfach auf Kosten anderer ausruhen. Das tun sie aber ganz sicher nicht. Alle drei wären sehr, sehr gerne gesund und arbeitsfähig. Aber sie geben sich eben trotz blödem Schicksal nicht auf, sondern versuchen diesem Leben, jedem Tag so viel Schönes und Positives wie möglich abzugewinnen und das auch ihrem Umfeld zu zeigen.

Ich persönlich mag gerade diesen Blick auf das Leben, auf unsere direkte Umgebung, auf Kleinigkeiten, den diese Personen täglich mit mir teilen. Sie lenken auch meinen Blick immer wieder darauf, dass das Leben schön ist, dass es in meiner direkten Umgebung so vieles gibt, was Freude macht. Vieles davon würde ich selbst in der Hektik des Alltags nämlich leider einfach übersehen.

Viele Grüße Nicky

nussknacker89
nussknacker89 10.07.2017

Arbeitsunfähig zu sein, bedeutet ja nicht, dass man sich zu Hause ins Kämmerlein einsperren muss oder jemand der krank geschrieben werden muss, leidend unter Schmerzen das Bett hüten muss. Man darf im Krankheitsfall sogar spazieren gehen oder einkaufen. Liegt keine Bettruhe vor, darf man alles machen, was der Genesung dienlich ist. Ist bei manchen vielleicht Facebook oder Twitter.

Ich sehe da selbst nicht Verwerfliches dran. Was willst du mit deinen Beweisen denn anstellen? Dem Arbeitgeber vorlegen? Petzen? Aus deinen Zeilen spricht der wahre Neid heraus. Was machst du denn, wenn du krank bist? Für manche ist es in dem Fall die einzige Möglichkeit Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, also lass die Leute machen. Beispiele wurden ja schon genannt. Leben und leben lassen. Vielleicht solltest du an deinem Leben was ändern, scheinst ja sehr unzufrieden mit dir und deiner Umgebung zu sein.

landei
landei 10.07.2017

Es ist sehr schön, was @nicky dort geschrieben hat, und traurig zugleich diese Schicksale.

Man sollte es möglichst objektiv sehen und wie überall im Leben, nicht alles und jeden über einen Kamm scheren!

Selbstverständlich wird es unter den von @kibalibre angesprochenen Leuten auch welche geben, die wirklich zu faul sind und keine Lust aufs Arbeiten haben. Ich kenne leider selbst so eine Person.

Aber auch bei vermutlich dem größten Teil wird es so sein, wie @nicky es erklärt hat. Und diesen Leuten tut man damit absolut unrecht, wenn man pauschal verurteilt. Darüber sollte man wirklich einmal nachdenken.

Für viele sind die sozialen Medien und das Internet tatsächlich aus verschiedenen Gründen der einzige Weg "nach außen" mit anderen Menschen zu kommunizieren. Und Kommunikation ist wichtig, für jeden Menschen.

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