Das Einschlaf-Ritual mit den Kindern muss immer gleich sein, erst noch eine Geschichte vorlesen und dann erst wird das Licht ausgemacht. Und Sonntag ist Badetag. Sind Rituale zeitgemäß oder langweilig und starr? Helfen sie oder engen sie ein? Ich frage das mich und Euch. Eigentlich finde ich sie nämlich albern, ertappe mich aber dabei, wie ich eigene Rituale entwickele, obwohl ich das nicht will. Ich hole mir jeden Morgen mein Brötchen am Kiosk und der Hund bekommt immer einen Keks, wenn wir draußen waren. Bekommt er keinen, weicht er mir nicht von der Seite. Habe ich keine Lust auf ein Brötchen, motzt mich der Kioskbesitzer am nächsten Tag an, wo ich denn war. Man ist so abhängig von Ritualen.
Rituale geben Halt, Ruhe und Sicherheit. Sie sind der Baustein für Stabilität und auf jeden Fall wichtig und selbstverständlich zeitgemäß.
Weihnachten steht vor der Tür. Woran denken alle Menschen hier als erstes? An Rituale. Wie verpacke ich Geschenke? Wie backe ich Kekse? Wie schmücke ich meine Wohnung? Wie feiere ich Weihnachten, wenn ich alleine bin? - Das sind Fragen, die Menschen zurzeit bewegen. Dahinter stecken die üblichen Weihnachtsrituale.
Wenn jemand stirbt, geben uns Rituale Halt. Bei der Geburt eines Kindes, bei Verlobung, Hochzeit, Geburtstag, bei Feiern wie Ostern oder Pfingsten strukturieren Rituale Verhalten und Handlungsabläufe. Das gibt Sicherheit und die Illusion von Kontrolle.
Manche brechen aus traditionellen Mustern aus, indem sie zur Weihnachtszeit an Urlaub unter Palmen denken. Aber das sind die wenigsten.
Nicht nur Kinder brauchen Rituale, sondern alle Menschen. Die meisten Leute gehen etwa zur selben Zeit schlafen und stehen mit dem Wecker wieder auf. Unsere Tage sind eine Aneinanderreihung von Routine-Einheiten.
Kinder schlafen mit Ritualen leichter ein. Die Nachtruhe ist erholsamer. Sie wissen: Punkt 7 gibt es Milch mit Honig. Dann werden Zähne geputzt. Anschließend kommt Papa und liest eine Geschichte aus dem Lieblingsbuch vor. Fünfzehn Minuten später gibt es den obligatorischen Gute-Nacht-Kuss, dann geht das Deckenlicht aus, das Nachtlicht an - und acht Stunden später beginnt das Morgenritual.
Die Frage muss sich jeder selbst beantworten. Wir haben auch Rituale, die wir nicht missen möchten. Unseren Sonntagsbrunch, auf den ich mich die ganze Woche freue oder der Abendspaziergang. Wenn meine Freundin dienstgas aber keine Zeit hat, mit mir Pizza essen zu gehen, weil dienstags ihr Waschtag ist, greife ich mir an den Kopf. Vermutlich ist das mit allen Ritualen so, dass sie für Außenstehende komisch sind und nicht nachzuvollziehen. Sie schüttelt sicher auch den Kopf über meine Angewohnheiten.
Dann mach Dich doch nicht abhängig. Wenn mich etwas nervt, dann lasse ich es. Und dem Kioskbesitzer würde ich was erzählen! Der soll doch froh sein, wenn Du an 4 Tagen seinen Kram kaufst und nicht meckern, wenn Du 1 Tag nicht kommst.
Bei Kindern sehe ich das aber anders. Wenn Du da nicht vorliest abends, wenn Du es immer machst, denken sie, Du hast sie nicht mehr lieb und verstehen die Welt nicht mehr. Solche Rituale geben Sicherheit.
Ich finde Rituale wichtig, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn wenn wir ehrlich sind, bestimmen Rituale unseren Alltag. Die einen brauchen täglich ihren Kaffee oder ihre Zigarette, Kinder wünschen sich Belohnungen, an Weihnachten wird der Tannenbaum aufgestellt und an Geburtstagen gibt es Geschenke. Das sind alles Rituale, die uns aber auch ein Gefühl von Geborenheit vermitteln.
Ich fände es ohne Rituale langweilig, ich mag sie, weil sie mir etwas Vertrautes vermitteln - warum sollten wir das lassen? Gerade in der hektischen, stressigen Zeit können Rituale sinnvoll sein und den Menschen ein wenig erden.
Man muss es nicht übertreiben, aber ein paar Rituale finde ich schon gut und wichtig. Es hat ja schon seinen Grund, dass wir Menschen uns immer wieder (bewusst oder unbewusst) welche suchen! Rituale geben dem Alltag Struktur, und Struktur gibt uns (egal in welchem Alter) immer auch ein bisschen Sicherheit.
Spannenderweise wurde das sogar wissenschaftlich untersucht! Dabei haben Forscher die Hirnaktivität untersucht, während Menschen Rituale ausgeführt haben. Dabei haben sie tatsächlich festgestellt, dass Rituale das Belohnungszentrum aktivieren! Sogar, wenn es nur ganz kleine sind.
Kein Wunder also, dass man selbst nach einem richtigen Ekeltag gleich viel besser fühlt, wenn man seinen Abendspaziergang oder seine Folge Tatort oder seinen Tee hatte!
Ich finde Rituale auch gut, aber sie dürfen sich verändern.
Wenn ein Kind wächst, müssen sie das sogar - sonst ließt Du deinem Kind noch bis es 60 ist abends Geschichten vor - hahhaha!
Was den Kioskbesitzer betrifft würde ich mal sagen, er ist nur maulig, weil Du die Zeitung woanders gekauft hast. Das hat ja in dem Sinne nichts mit einem Ritual zu tun.
Also, ich halte es so: Ich habe feste Rituale (wie meine Morgengymnastik) fühle mich aber so frei, daraus auch eine Abendgymnastik zu machen