Wann ist man scheinselbständig?

06.05.2017 von schroedinger
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Hallo!
Ich habe ein tolles Angebot von meiner Uni bekommen, dass ich dort für ein Projekt als Grafiker mitarbeiten könnte. Leider suchen sie aber keine Angestellten, sondern ich würde als freier Mitarbeiter die Aufträge bekommen. Mit anderen Worten: Ich müsste mich selbständig machen!
Mit dem Gedanken habe ich schon länger geliebäugelt, da ich Grafikdesign studiere und schon häufiger gefragt worden bin, ob ich nicht Auftragsarbeiten machen möchte. Allerdings wurde ich jetzt schon des Öfteren gewarnt, dass ich dann tierisch aufpassen muss, dass ich nicht als scheinselbständig gelte. Andernfalls gibt es mächtig Ärger mit dem Finanzamt. Das will ich natürlich auf keinen Fall!
Wann genau ist man denn scheinselbständig? Gibt es da bestimmte Grenzwerte oder sonstige Kriterien?
Danke und ein schönes Wochenende!

Antworten: 2

Beste Antwort
arthur
arthur 06.05.2017

Du studierst ein zukunftsträchtiges Fach und ich würde an deiner Stelle das Angebot der Uni, als Grafiker bei einem Projekt mitwirken zu können, sofort annehmen! Besser kann es für dich gar nicht laufen. Du sammelst sofort Berufserfahrung und hast den Fuß in der Tür.

Scheinselbständigkeit muss natürlich unbedingt vermieden werden. Wenn du dich selbständig machst und Freiberufler wirst, kann dir dieser Status sonst aberkannt werden, was Folgen für deinen Arbeitgeber hätte. Der muss dann nämlich sämtliche Versicherungsbeiträge nachzahlen – und das kann ein ziemlich dicker Brocken werden.

Das Finanzamt, die deutsche Rentenversicherung und Sozialversicherungen haben ein wachsames Auge auf freie Mitarbeiter, Freiberufler, Honorarkräfte etc., weil manchmal eben doch angestelltenähnliche Verhältnisse vorliegen, der Arbeitgeber sich aber vor seiner Verantwortung drücken will. 

Als Freiberufler bist du

  • nicht weisungsgebunden
  • nicht in den Betrieb eingebunden

Den Verdacht der Scheinselbständigkeit kann alle treffen, die selbständig sind und Auftragsarbeiten übernehmen. Freie Mitarbeiter haben manchmal einen Vertrag mit ihren Auftraggebern, die aber kein Arbeitsverhältnis darstellen.  Typische Berufsgruppen sind Berater, Grafikdesigner, Texter, Kurierfahrer, Dozenten und Programmierer.

Was ist Scheinselbständigkeit?

  • Wenn ein Selbständiger dauerhaft nur für einen einzigen Arbeitgeber tätig ist und er seinen Hauptumsatz damit bestreitet. (Man setzt hier 5/6 des Umsatzes an). Wäre das bei dir der Fall oder hast du noch weitere Einnahmequellen? (Studentenjob, Unterstützung der Eltern?)
  • Wenn ein Auftraggeber dir Weisungen erteilt und du seiner Kontrolle unterstehst, sodass deine Selbständigkeit eingeschränkt wird.

Folgende Kriterien werden dabei geprüft:

  1. Unterliegt der Selbständige Weisungen des Auftraggebers?
  2. Bestimmt der Selbständige selbst, wann er arbeitet?
  3. Falls in dem Unternehmen auch fest angestellte Kräfte arbeiten: Ist ein Unterschied bei den Aufgaben erkennbar?
  4. Kann der Selbständige seinen Arbeitsplatz (überwiegend) selbst aussuchen?
  5. Wird der Selbständige durch den Arbeitgeber kontrolliert (z.B. durch Software)?
  6. Versteht und präsentiert sich der Selbständige nach außen als selbständig?
  7. Verwendet der Selbständige eigenes Briefpapier, einen Stempel mit dem Namen seines Unternehmens sowie Visitenkarten?
  8. Macht der Selbständige Werbung für sein Unternehmen und sucht neue Auftraggeber?
  9. Darf der Selbständige Hilfskräfte (eigene Mitarbeiter) mitbringen und in den Arbeitsprozess einbinden?

Für dich bedeutet, dass:

  • Melde dich als Freiberufler beim Finanzamt.
  • Ãœberleg dir einen Namen, vielleicht ein Logo und erstelle Firmenunterlagen.
  • Bastele eine Website, auf der du dich als Graphiker vorstellst und deine Dienste anbietest.
  • Suche parallel zur Tätigkeit an der Uni weitere Auftraggeber.
  • Achte darauf, dass du deine Arbeitszeit selbst bestimmst.

Sollte jemand als „scheinselbständig“ eingestuft werden, hat das ein Nachspiel rechtlicher und finanzieller Art.

Folgen für den Auftraggeber

Der Auftraggeber muss die Beiträge zur Sozialversicherung für bis zu 4 Jahre im Nachhinein entrichten, eventuell sogar plus Säumniszuschläge.

Das Finanzamt kann ebenfalls 4 Jahre rückwirkend auf Lohnsteuernachzahlungen bestehen. Dazu kommen möglicherweise Bußgelder und sogar Gefängnisstrafen.

Folgen für den Auftragnehmer

Sein Status „selbständig“ wird zu dem eines Arbeitnehmers verändert. Das Gewerbe, wenn eines bestand, muss abgemeldet werden, wodurch die Mitgliedschaft bei der IHK ebenfalls beendet ist. Sonst bedeutet die Feststellung der Scheinselbständigkeit mehr Rechte für den Auftragnehmer, die er als Selbständiger nicht hatte. Als Angestellter genießt er sofort Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlungsverpflichtung im Krankheitsfall. Dazu kommen Nettogehaltszahlungen in Höhe des bisherigen Honorars.  

Die Arbeitnehmeranteile (Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge) für die vergangenen 3 Monate werden vom künftigen Gehalt abgezogen. Außerdem muss der Auftragnehmer seine Rechnungen korrigieren: Die Umsatzsteuer ist ungültig,  ein Vorsteuerabzug darf nicht durchgeführt worden sein oder muss an das Finanzamt zurückerstattet werden.

kublai
kublai 08.05.2017

@schroedinger:

Alles Wichtige hat @arthur im Grunde schon zusammengetragen. An deiner Stelle würde ich bei dem Auftrag sofort zugreifen! Du kannst einiges tun, um dich abzusichern und dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit schon im Vorfeld begegnen. Die Uni wird sicher auch wissen, wie sie mit Freiberuflern umgehen muss, sodass es keine rechtlichen Probleme gibt. Du bist bestimmt nicht der erste/einzige freie Mitarbeiter, den sie beschäftigen.

Tipps für dich:

  1. Wähle als selbständiger Graphiker eine Gesellschaftsform, z.B. eine Mini-GmbH / UG (haftungsbeschränkt)
  2. Such dir möglichst noch ein oder zwei zusätzliche Auftraggeber.
  3. Bestehe darauf, dass ein Dienstvertrag aufgesetzt wird. 
  4. Biete deine Dienste als Graphiker öffentlich sichtbar an, mach ordentlich Werbung für dich. Wichtig: Falls du Anzeigen schaltest, heb sie auf. Das kannst du eventuell später als Nachweis brauchen, falls es doch zu einer Kontrolle kommt.  
  5. Protokolliere deine Arbeitszeiten. Notiere, wo und wann du tätig bist. Das begegnet dem Vorwurf einer orts- und zeitgebundenen Tätigkeit.  
  6. Arbeite möglichst zu Hause in deinem Reich.

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