Ist Homosexualität angeboren oder erworben?

Ist Homosexualität angeboren oder erworben?

10.04.2017 von doolittle
2438 mal gelesen 8 Follower

Guten Morgen,
obwohl ich selbst eine heterosexuelle Frau bin, interessiert mich das Thema Homosexualität sehr. Eine sehr gute Freundin hat sich auch vor einem halben Jahr als lesbisch geoutet (hatte ich schon immer vermutet). Groß darüber mit ihr geredet habe ich auch nicht, weil es für mich keine Rolle spielt und ich es gar nicht schlimm finde. Schlimm fand ich nur, dass sie es schon so lange verheimlicht bzw. vielleicht gegen ihre Neigung angekämpft hat. Das ist doch Quälerei.

Mich würde aber interessieren, ob man bereits bei der Geburt homosexuell ist, also ob das dann schon feststeht, oder ob man erst in der Kindheit durch Erziehung und Erfahrungen sich in die eine oder andere Richtung entwickelt. Hat da einer Ahnung von? Ich meine mal gelesen zu haben, dass es angeboren ist, aber an anderer Stelle hatte ich gehört, dass eine Frau lesbisch werden kann, wenn echte Mutterliebe in der Kindheit gefehlt hat. Hier wäre die Homosexualität dann quasi die Suche nach einer Art "Mutter/Tochter"-Beziehung und kein rein sexuelles Verlangen.

Und wenn mir jemand mit Bestimmtheit erklären kann, wie es ist, wäre auch die Info wichtig, ob es bei Lesben und Schwulen gleichermaßen der Fall ist, oder ob z.B. Schwulsein angeboren oder Lesbischsein "erlernt" ist. Oder gibt es vielleicht beide Formen, angeboren ODER erzogen/erlernt?

Danke für eine Aufklärung „lachen“-Emoticon

Antworten: 6

Beste Antwort
lena2000
lena2000 11.04.2017

Erst 1992 wurde Homosexualität offiziell nicht mehr als Krankheit betrachtet. Ein Unding. Biologen und Sexualmediziner verwiesen immer wieder darauf, dass Homosexualität etwas Natürliches ist, was nun endlich bestätigt wurde.

Ein internationales Team um den Evolutionsbiologen William Rice (University of California) fand in Santa Barbara heraus, dass Homosexualität in der Tat angeboren ist. Veröffentlicht wurde die Studie der Experten im Fachmagazin „The Quarterly Review of Biology“.

Die Ursache für Homosexualität und Heterosexualität ist in der Genregulation bei den epigenetischen Faktoren (Epimarkern) zu finden. Ich versuche, euch das möglichst einfach zu erklären:

  • Methyl- oder Phosphatgruppen lagern sich an der Erbsubstanz DNS an.
  • Durch wird die Aktivität der Gene reguliert und das Ausmaß bestimmt, in dem Proteine erzeugt werden.
  • Meistens sind Epimarker an Individuen gebunden. Manchmal werden sie durch Vererbung an spätere Generationen weitergegeben.

Epimarker  & Sexualität

  • Bestimmte geschlechtsspezifische Epimarker entstehen im Frühstadium der fötalen Entwicklung. Sie schützen den Fötus vor den starken Schwankungen des Geschlechtshormons Testosteron. Dadurch hat ein weiblicher Fötus trotz hohem Testosteronspiegel im Mutterleib weiblichen Züge, ein männlicher Fötus keine weiblichen.
  • Manche Epimarker sind zuständig für die Ausprägung von Genitalien, manche für sexuelle Identität und manche für sexuelle Vorlieben (Geschlechtspartner).
  • Eigentlich werden sie von Müttern an Töchter und von Vätern an Söhne weitergegeben.
  • Wenn diese geschlechtsspezifischen Epimarker in die Keimbahn kommen, werden sie von Vätern an Töchter oder von Müttern an Söhne weitergereicht. Dadurch dreht sich der Effekt um.
  • Söhne übernehmen etwa die sexuelle Präferenz der Mutter, Töchter die des Vaters.
  • Manche Jungen entwickeln aufgrund dessen weibliche Züge, manche Mädchen männliche.
  • Durch die Weitergabe der Epimarker von Vätern an Töchter und von Müttern an Söhne wird Homosexualität somit weitervererbt und immer durch alle Generationen hinweg Bestand haben. Darum kommt Homosexualität in allen Kulturen bei Männern und Frauen vor.
  • Darum gibt es auch so viele homosexuelle Tiere (Möwen, Schimpansen, Albatrosse usw.).

Homosexualität ist etwas völlig Natürliches. Man kann Homosexualität und Heterosexualität nicht "beibringen" oder "erwerben". Man ist homo oder hetero. Darum ist es in meinen Augen auch ein absolutes Unding, wie sehr Homosexuelle in Deutschland diskriminiert werden. Wie kann es sein, dass man hier wegen Religion (= erworbener Unsinn) geschützt wird, aber wegen Homosexualität (= angeboren) diskriminiert wird? Heiraten beispielsweise ist nach wie vor nicht möglich...

tina68
tina68 10.04.2017

Ich (w, 49, hetero) habe mehrere schwule Freunde, die ich allesamt irgendwann darauf ansprechen konnte, wie es bei ihnen dazu kam. Ab wann sie es wussten und wie es dazu kam und ob sie nicht doch auch Frauen anziehend finden usw. Alle sagten, dass sie es schon immer wussten. Dass sie einen Mann einfach sexuell anziehend finden und eine Frau nicht. Sie beschrieben es genau so, wie es mir ja auch geht. Sie kommen aus völlig unterschiedlichen sozialen Schichten und mal aus intaktem Elternhaus und mal aus einem kaputten.

Ich halte es also ganz klar für genetisch bedingt.

Es macht für mich der Logik nach keinen Sinn, dass es bei lesbischen Frauen anders sein soll. Leider kenne ich keine so eng, dass ich ihr solche Fragen stellen kann. Vielleicht melden sich hier ja welche, die offen erzählen.

Ohne wissenschaftliche Hintergründe zu haben behaupte ich, dass man kein Kind in eine Homosexualität aus Trotz drängen kann.

Ein Freund von mir war mit einer Frau verheiratet, hat eine Tochter und lebt nun mit einem Mann zusammen. Es war keine Tarnung mit der Ehe so wie früher, als man nicht zu seiner Homosexualität stehen durfte. Nein, es war Liebe. Er sagt: Ich verliebe mich in einen Menschen. Das finde ich irgendwie sehr schön.

shania
shania 10.04.2017

@tina68

Alle sagten, dass sie es schon immer wussten

Das besagt aber noch lange nicht, dass es von der Geburt an so festgelegt, also genetisch bedingt war/ist. Schließlich erinnert der Mensch sich erst ab einem Lebensalter von ca. 3-4 Jahren. Außerdem wage ich zu beweifeln, ob man im Kleinkindalter einen Mann oder eben eine Frau sexuell anziehend(er) finden kann „zwinkern“-Emoticon

Ich habe auch keine wissenschaftlichen Belege und kein spezielles Hintergrundwissen (kenne keine homosexuellen Menschen näher), glaube selbst aber schon, dass es mit der frühkindlichen Erziehung viel zu tun haben kann.

Wenn ein Junge ab Geburt von seinem Vater deutlich mehr Liebe, Nähe und Zuneigung bekommt, als von seiner Mutter, kann es doch nur wahrscheinlich sein, dass sich dies in seinem Kopf einprägt und sich auf das spätere Leben auswirkt, oder? Also dass er dann auch als Erwachsener eher die Nähe und Liebe bei einem Mann sucht.

herrdersinne
herrdersinne 10.04.2017

Ich bin da von meiner persönlichen Meinung her eher bei @shania (also Festlegung in der frühesten Kindheit), meine aber auch mal irgendwo gelesen zu haben, dass es genetisch bedingt ist. Bin auf weitere Meinungen/Aussagen gespannt. Mein Bruder ist schwul, ich nicht. Aber wir haben kein so enges Verhältnis und daher war das nie ein Thema bei uns.

tina68
tina68 10.04.2017

Ich gebe Dir @shania völlig Recht damit, dass man sich selbst nicht an die Jahre von 1 bis 3 erinnern kann. Aber man kann Eltern und Geschwister oder die Großeltern oft fragen und sich dann doch noch ein Bild machen.

Für mich ist kein Rollenmuster erkennbar. Keine gleichen Voraussetzungen, nach denen jemand in eine Homosexualität gedrängt wurde. Ich kenne schwule Männer aus Elternhäusern mit zu viel Liebe und mit zu wenig Liebe, reich oder arm. Sogar einen ohne Mutter, beim Vater aufgewachsen. Einfach alles dabei.

Es sind genauso Männer schwul, die in einem völlig normalen Rollenbild aufgewachsen sind mit Vati, Mutti, Kind. Mit Mutter zu Hause, mit Mutter arbeitend. Mit Vater wie ohne Vater. Mit tollem Vater und mit Arschlochvater. Mit Professorenmutter oder Alkoholikerin.

@herrdersinne: Was - neben den absolut überzeugenden wissenschaftlichen Erklärungen von @lena2000 -  schon immer gegen die Annahme gesprochen hat, dass Homosexualität in frühester Kindheit (oder wann auch immer) erworben worden sein könnte:

  • Homosexuelle Menschen wachsen als Kinder heterosexueller Eltern auf.
  • Das Umfeld ist meistens extrem homofeindlich.
  • Die Sozialisierung von Kindern erfolgt geschlechtsspezifisch von dem Moment an, in dem klar ist, was es wird, Mädchen oder Junge. Das geht bei der Farbwahl los, weiter über die Behandlung der Kinder bishin zu Spielsachen und Erziehung.
  • Die Sozialisierung erfolgt ausschließlich heterosexuell und nach heterosexuellen Normen. Schwule und Lesben müssen darum kämpfen, ihre Geschlechtsidentität zu entdecken. Sie merken irgendwann, dass sie anders sind als ihre Klassenkameraden. Meistens passiert das in der Pubertät. Manche merken es erst im späten Erwachsenenalter, wenn sie mit einer Person anderen Geschlechts verheiratet sind und Kinder haben. 
  • In extrem religiösen Elternhäusern (ja, die gibt es auch bei Christen!) werden Homos mit Hass gegenüber Homosexualität erzogen. Das wird ihnen mit der Muttermilch eingefüttert. Was es bedeutet, sich aus diesem Sumpf der Negativität freizumachen, kann sich niemand vorstellen, der das nicht selbst erlebt hat.

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