Unterricht geben für 15 € Netto die Schulstunde. Würdet ihr das machen?

27.01.2017 von bezzerwizzer
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Meine Sandkastenfreundin wurde gebeten, einen Deutschkurs für Flüchtlinge zu übernehmen. Sie ist eher engagiert und fühlte sich geschmeichelt, weil man an sie herangetreten ist.

Die Aufgabe ist anspruchsvoll. Es sind 22 Personen mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Leistungsstand. Mehrheitlich handelt es sich um Männer. Das Alter reicht von 19 bis über 50.

Die Bezahlung ist allerdings sehr schlecht. Ihr wurden 15 € pro 45 Minuten offeriert. Unterrichtsvorbereitung, Pausen und Anfahrt (30 Minuten Fahrt) werden nicht als Arbeitszeit gewertet und nicht bezahlt. Ferien und Feiertage werden ebenfalls nicht entlohnt. Das gesamte Lehrmaterial muss sie aus eigener Tasche zahlen oder in ihrer Freizeit erfinden und Arbeitsblätter ausdrucken. Ein Auto muss sie zwingend haben. Fahrtkostenzuschuss gibt es nicht. Davon kann sie nicht leben, das ist klar. Sie hat einen Zweitjob, in dem sie von 14 bis 22 Uhr tätig ist. An den Vormittagen soll sie von 8 bis 13 Uhr Unterricht geben. Sie ist Akademikerin. Würdet ihr diesen Job für so wenig Geld übernehmen? Ich denke, das ist nicht als ein reines Ausnutzen...

Antworten: 12

Beste Antwort
gitta
gitta 28.01.2017

Ich finde es spricht überhaupt gar nichts dagegen, für 15 Euro die Stunde zu arbeiten. Ich hatte über 10 Jahre lang einen Zweitjob für 6,50 Euro die Stunde und war dankbar, als der Mindestlohn eingeführt wurde. Da betrachte ich das Doppelte nicht als Schlag ins Gesicht.

Sprechen Ausländer kein Deutsch, kriecht ja sofort wieder jemand unter seinem Stein hervor und bemängelt, dass sie sich nicht integrieren wollen.

Mein Freund unterrichtet im Abendgymnasium und erzählt viel von den dort herrschenden Problematiken. Also einfach wird das nicht für Deine Freundin. Aber jeder Lehrer hat Unterlagen in seiner Freizeit zu erstellen und Arbeiten zu korrigieren und teilweise schwierige Schüler. Beruf sollte auch etwas mit Berufung zu tun haben und man sollte ihn idealerweise gerne ausüben.

blechtrommel
blechtrommel 28.01.2017

Vorab: Menschen, die wirklich fliehen mussten, sollte auch geholfen werden. Das hat aber alles seine Grenzen. Ich versuche, speziell bei dieser Thematik, in der Regel überhaupt nichts mehr zu sagen - denn es ist ein absolutes Minenfeld - ein falsches, unbedachtes Wort und der Shitstorm bricht los. Trotzdem äußere ich mich jetzt mal zu dem von dir geschilderten Fall.

Ich empfinde dieses "Angebot" als eine Unverschämtheit und Geringschätzung deiner Freundin. Unabhängig davon, dass die Regierung sich auf Kosten der Heerschar freiwilliger Helfer rühmt, so viel für Flüchtlinge zu tun (was mir ebenfalls..hmm..missfällt), wird auch weiterhin alles, was sich die Politik in ihrer selbstherrlichen Art Großes vornimmt, auf den Schultern derer abgeladen, die es als ihre moralische Pflicht betrachten, diesen Menschen zu helfen. Gemessen an den Konditionen ist das wahrlich ein Schlag ins Gesicht - da decken die Einnahmen ja noch nicht einmal die Kosten.

Abgesehen davon würde dieser "Job" ja in ihren eigentlichen Freizeitbereich fallen - und Flüchtlinge zu unterrichten ist alles andere als entspanntes Arbeiten. Dass sie dann auch noch sämtliches Lehrmaterial selbst organisieren muss, ist der letzte Nagel, der in diesen Sarg der Unverschämtheit geschlagen wird. Es sollen sich diejenigen für diese "Entlohnung" für den Unterricht einsetzen, die sowas planen und entscheiden.

rolfgoergen
rolfgoergen 28.01.2017

Wie kommt Deine Freundin denn überhaupt auf so eine Idee bzw. unter diesen Umständen überhaupt ins Nachdenken, sowas zu tun?

Sicher wird sie mehr als nur einmal einen "Spruch" und "Blicke" über sich ergehen lassen müssen und wird von ihren "Schülern" als Objekt angesehen. Nein, ich finde das sollte eine Frau auch nicht für 100,- € pro Stunde machen. Tut mir leid, ist aber meine Meinung! Die Regierung soll ich dann anderweitig verantwortlich zeigen, gelernte Fachkräfte heranziehen und ordentlich entlohnen.

susanne45
susanne45 28.01.2017

Sie soll das einfach als Zweitjob ansehen, da sie ja auch nicht fest angestellt ist und keine Sozialleistungen erhält. Es liest sich zumindest so. 15 Euro pro Stunde für etwas, das man gerne macht, finde ich nicht zu wenig. Auch Akademiker arbeiten heutzutage oft für den Mindestlohn irgendwo. Gerade, wenn sie älter werden und den Job verlieren und einen neuen Job suchen merken sie, dass die Welt leider nicht immer auf sie gewartet hat.

Es gibt Menschen, die helfen ehrenamtlich, ohne Geld. Einfach so. Sie helfen Menschen und Tieren, die Hilfe benötigen. Obdachlosen und Flüchtlingen und im Tierheim. Sowas nennt sich Menschlichkeit. Das kann eine sehr befreiende Tätigkeit sein, um aus dem eigenen beruflichen Hamsterrad heraus zu kommen und der eigenen gedanklichen Engstirnigkeit. Man sieht dann nämlich mal, wie gut es einem selbst eigentlich geht.

teefan
teefan 28.01.2017

Erstmal: Leute, könnt ihr Leuten nicht einfach mal ihr Engagement lassen, ohne gleich wieder in das "Böse Flüchtlinge, böse Regierung"-Horn blasen zu müssen? Wenn die Dame sich engagieren möchte, dann lasst sie doch. Wenn es ihr nicht gefallen sollte, kann sie immer noch aufhören. Sie ist schließlich erwachsen und kann das selbst entscheiden. Soviel dazu, das musste jetzt mal kurz raus.

Zum Thema: Ich finde 15 Euro auch ziemlich unterbezahlt, wenn nicht einmal Anfahrt, Abfahrt und Vorbereitung bezahlt werden. Ändern wird es sich aber leider nicht, deshalb muss sie wohl in den sauren Apfel beißen oder es eben lassen! Wenn ihr die Sache am Herzen liegt, wird sie sicher trotzdem Freude daran haben.

Eine Idee noch: Es gibt doch bestimmt auch Communities, in denen sich Flüchtlingshelfer und Deutschkursgeber austauschen. Schließlich ist die "Szene" gut vernetzt! Vielleicht findet sie da ja Tipps und Ratschläge und vielleicht sogar das ein oder andere Arbeitsblatt? Das würde zumindest die Vor- und Nachbereitung ein wenig entlasten.

kaffeemaedchen
kaffeemaedchen 28.01.2017

Nun, anderen helfen schön und gut, aber ein Ehrenamt ist immer freiwillig und muss nicht mit einer solchen Verantwortung behaftet sein. In diesem Fall kann sie in der Zeit keinen anderen Job ausüben, der ihren Lebensunterhalt sichert. Dabei kommt es natürlich auf die Häufigkeit an. Ist es einmal die Woche und nicht so weit weg, dann ist es etwas anderes als würde sie jeden Tag dort auftauchen müssen. Und offensichtlich soll sie ja jeden Tag unterrichten – das ist wirklich viel verlangt. Dass sie die Materialien selbst bezahlen muss ist ebenfalls unschön. Bekommt sie denn eine Schulung, wie sie am besten mit dieser Situation klar kommt? Denn auch die kulturellen Unterschiede können sich erschwerend auswirken. Und wie will sie da schaffen? Dann wäre sie täglich von 9 -22 Uhr arbeiten, + die Fahrzeit. Sowas macht man vielleicht als Selbständiger, aber das würde mehr Geld einbringen.

panpan
panpan 28.01.2017

Was verdient Ihr denn alle so im Nebenjob? 15 Euro die Stunde sind super. In keinem Job der Welt wird die Anfahrt bezahlt...

bezzerwizzer
bezzerwizzer 30.01.2017

Danke für eure ehrlichen und ausführlichen Kommentare! Ich habe meiner Freundin abgeraten, den Job zu übernehmen. Sie ist 37 Jahre alt, hat studiert und ist Unterrichtsprofi. Sie ist allerdings selbstständig auf Geldverdienen angewiesen.

@gitta: Anders als beim Schulunterricht, wo der Lehrer eine Vorbereitung für alle Schüler macht, muss sie für mindestens drei Gruppen Material erstellen oder kaufen und dann an die Gruppe anpassen. Das ist dreifacher Aufwand. Pro unterrichteter Stunde fallen also mindestens zwei Stunden Vorbereitung und Nachbereitung an. Dabei muss sie sehr schnell und konzentriert arbeiten, sonst schafft sie das nicht. Denn sie muss denen Hausaufgaben mitgeben und die ebenfalls in ihrer Freizeit korrigieren. Macht maximal 5,- €/Stunde. Das finde ich bei dem anspruchsvollen Job wirklich mehr als happig.

@blechtrommel: Ich stimme dir absolut zu und sehe dieses „Angebot“ ebenfalls als Unverschämtheit an! Natürlich muss Flüchtlingen geholfen werden. Deutschkurse sind wichtig. Aber genauso wichtig ist eine vernünftige Bezahlung, denn hier kann man nicht „Dienst nach Vorschrift“ abspulen, sondern muss sehr individuellen Unterricht machen. Von der Qualität der Vorbereitung, Vermittlung und vom individuellen Engagement der Lehrkraft hängt das Gelingen des Kurses maßgeblich ab.

@rolfgoergen: Meine Freundin gilt als sehr engagierte Unternehmerin. Darum ist eine Klientin, die aus Spaß & Langeweile in der Flüchtlingsbetreuung arbeitet, an sie herangetreten.

Warum meine Freundin darüber nachdenkt? Zeitlich passt es in ihre Alltagsstruktur. Sie braucht noch eine Einnahmequelle, um über die Runden zu kommen und sie ist sehr politisch und sozial eingestellt und will immer allen helfen. Das nutzen viele Leute schamlos aus. Dazu ist sie studierte Fachkraft auf dem Gebiet.

Sie hatte heute Probearbeiten, ganz allein. Man drückte ihr einfach einen Schlüssel in die Hand und sie musste dann allein in den Raum, sich vorstellen und alle kennen lernen. Unterrichtet wird in einem abgeteilten Stück der Sporthalle einer Schule. Die Männer wollten tatsächlich fast alle ihre Telefonnummer, fragten nach Treffen, liefen nach dem Unterricht hinter ihr her und es kamen etliche Anmachsprüche. (Meine Freundin hat lange, hellblonde Naturlocken, ist sehr schlank, gutaussehend mit großen, grünen Augen. Zum Glück kann sie sich gegen Anmachen gut durchsetzen. Das ist sie gewöhnt.)

@susanne45: Es ist nichts gegen ehrenamtliche Arbeit im Tierheim oder sozialen Einrichtungen einzuwenden. Allerdings gibt es keine Weisungsbefugnis gegenüber Ehrenamtlern. Die können kommen und gehen, wie sie wollen, arbeiten nicht jeden Tag eine fest vorgeschriebene Stundenzahl, und wenn sich im Privatleben etwas ändert (neuer Mann, neue Frau, neuer Job), sind sie weg.

@teefan: Danke für den Tipp mit den Communities, in denen sich Flüchtlingshelfer und Deutschdozenten austauschen! Das gebe ich direkt so weiter. Falls sie dabei bleibt, was ich im Moment nicht einschätzen kann.

@kaffeemaedchen: Richtig, Deutsch für erwachsene Flüchtlinge zu unterrichten, ist  sehr anspruchsvoll, schwierig und bedeutet eine große Verantwortung. Sie muss Rechenschaft ablegen und dafür sorgen, dass die Flüchtlinge ihre Sprachziele erreichen.

Eine Schulung bekommt sie nicht. Man wirft sie einfach ins kalte Wasser. Das sei so üblich.

@panpan: Für sie ist es kein Nebenjob, es soll eine Einnahmequelle sein. Sie muss Geld verdienen, um besser zurechtzukommen. Sie würde allerdings fast rund um die Uhr arbeiten, und sie hat daheim auch noch ein Kind, um das sie sich kümmern muss.

rolfgoergen
rolfgoergen 30.01.2017

Hallo @bezzerwizzer

Unterrichtet wird in einem abgeteilten Stück der Sporthalle einer Schule. Die Männer wollten tatsächlich fast alle ihre Telefonnummer, fragten nach Treffen, liefen nach dem Unterricht hinter ihr her und es kamen etliche Anmachsprüche. (Meine Freundin hat lange, hellblonde Naturlocken, ist sehr schlank, gutaussehend mit großen, grünen Augen. Zum Glück kann sie sich gegen Anmachen gut durchsetzen.

Das hört sich für mich an, als hätte man einer Horde wilder Tiere ein Stück frisches Fleisch hingeworfen. Deine Freundin tut mir sehr leid und ich habe da den allergrößten Respekt vor ihr, verstehen kann ich es leider trotzdem nicht. Wenn sie Geld braucht, ok, verstehe ich - aber da gibt es gewiss andere Möglichkeiten. Ich hätte Angst, dass einer der Männer so scharf auf sie wird und ihr noch abends mal nachstellen und ihr was antun könnte.

gitta
gitta 30.01.2017

@bezzerwizzer Na, dann ist sie aber doch nicht so gut. Ich brauche doch keine 2 Stunden Vorbereitung und Nachbereitung für 1 Schulstunde. Das einmal rausgesuchte Matrial ist ja ständig und in jeder Gruppe wieder verwendbar. Es sind ja keine geheimen Abiturklausuren, die ständig geändert werden müssen. Aber Deine Meinung steht ja ohnehin fest.

kublai
kublai 31.01.2017

Ich finde die miese Bezahlung ist ein absolutes Unding.

@gitta: Wenn ich das richtig verstande habe, soll die Freundin von @bezzerwizzer eine einzige Gruppe unterrichten. Sie kann das Material also nicht ständig wieder verwenden.

Nebenbei ist es sehr einfach, eine Abiturklausur zusammenzustellen. Das dauert keine halbe Stunde. Meine Ex-Freundin ist Lehrerin und hat vor der Einführung des Zentralabiturs selbst die Abiklausuren konzipiert. Das hat sie aus dem Ärmel geschüttelt. Hast du dir mal angeguckt, wie Abiturklausuren im Fach Deutsch überhaupt aussehen? Da wird ein Zeitungsartikel herausgesucht, meistens aus "Die Zeit" oder "Der Spiegel". Dazu gibt es zwei Standard-Aufgaben. Das dauert... 10 Minuten? Jedenfalls, wenn man als Lehrer sowieso im Thema ist.

Für eine Gruppe Immigranten mit unterschiedlichem Leistungsstand Aufgaben zu erfinden, die alle gleichzeitig beschäftigen, niemanden überfordern, sondern jeden dort abholen, "wo er steht", muss man sich schon mehr Gedanken machen. Dazu sind es lernungewohnte Erwachsene. Wer hierher flüchtet, ist selten Akademiker. Das sind Leute, die oft nicht mal unsere Schriftzeichen beherrschen.

Hast du schon mal einem Araber Deutsch beigebracht? Wenn das ungesteuert und unstrukturiert passiert, lernt er die Sprache nicht von Grund auf. So einfach ist diese Aufgabe wahrhaftig nicht. Das würden sich viele Schullehrer sicher nicht einmal zutrauen - oder freiwillig antun.

Nebenher... wisst ihr, wieviele Tausend Euro ein Lehrer im Monat nach Hause trägt? Bei endlos viel Urlaub?

blogger
blogger 31.01.2017

@bezzerwizzer: Ich habe einen Tipp, wie deine Freundin eventuell an kostenloses Lehrmaterial kommen kann. Jedes Jahr findet in einer anderen statt die so genannte "Didacta" statt. Das ist eine Bildungsmesse, bei der neue Lehrbücher vorgestellt werden.

Lehrer bezahlen natürlich nichts für Lehrmaterial. Verlage stellen ihnen Prüfexemplare zur Verfügung. Sie bekommen alles gratis. Eine Möglichkeit, da heranzukommen, ist ein Messebesuch. Empfehlenswert ist, entweder am ersten Tag der Messe dort zu sein. Dann gibt es noch überall Prüfexemplare. Sie soll einen Oma-Porsche (Einkaufswagen zum Ziehen) mitnehmen. Schleppen kann man diese Mengen nicht. Sonst ist der letzte Tag sinnvoll. Dann wollen die Aussteller möglichst nichts mehr einpacken und verschenken schon mal Ausstellungsstücke. Allerdings sind da die wichtigsten, interessantesten Prüfexemplare oft schon weg.

Sie haben nur eine gewisse Anzahl. Wer zuerst kommt... Vielleicht kann sie auch an beiden Tagen dort hingehen. Dieses Jahr findet die Didacta vom 14.2.2017 bis zum 18.2.2017 in Stuttgart statt.

Das ist eine völlig andere Erfahrung dort als auf der Frankfurter Buchmesse, wo man nichts umsonst bekommt. Bücher schon gar nicht. Die Didacta ist ein Paradies für Dozenten und Lehrer.

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